Kurt Demmlers Flucht in den Selbstmord

In einem mehrseitigen, von ihm kurzfristig zurückgezogenen biografischen Beitrag für unseren Mailorder – Katalog 2004 schrieb Kurt Demmler an BuschFunk:

„ich werde bald 60 sein (jagger ist es schon – die feststellung beruhigt irgendwie). da darf man in gerade dieser gesellschaft keine großen ansprüche mehr ans gebrauchtwerden stellen. und ich bin ja auch praktisch mit der wende in den vorruhestand getreten. meine Bezüge sind die tantiemen, die dank eines treugebliebenen publikums bis heute anhalten.“

In der Nacht zum 3. Februar 2009 hat Kurt Demmler in der Untersuchungshaft in Berlin-Moabit seinem Leben ein Ende gesetzt. Seit August vorigen Jahres saß der Arzt, Liedermacher und Songtexter wegen des Vorwurfes von sexuellen Übergriffen bei Castings für eine Mädchenband in seiner Wohnung im Prenzlauer Berg in Untersuchungshaft.

Demmler hatte sich zu den Vorwürfen nicht geäußert. Die Aussagen der Mädchen lassen jedoch den eindeutigen Schluss zu, dass bei den Proben zwischen 1995 und 1999 neben dem Versuch Tic Tac Toe links zu überholen, leider auch anderere Motivationen eine Rolle spielten.

„Seine Familie hat zu ihm gestanden“, sagte ein Gutachter. Er hinterläßt eine Frau und zwei erwachsene Kinder.

Kurt Demmler schrieb über 10 000 Lied- Texte für Bands wie die Klaus Renft – Combo, Electra, einmal für Puhdys, oft für Karat, Karussell oder 4 PS und diverse Interpreten wie z.b. Nina Hagen (Du hast den Farbfilm vergessen).

Viele seiner Texte gehören zu den bleibenden Perlen deutschsprachiger Rock- und Songpoesie.

Kurt Demmler war als Texter oft genial, aber zugleich ein schwieriger, höchst eigenwilliger Charakter, häufig getrieben von Eitelkeit, wenig maßvollem Ehrgeiz und der Marotte eines seltsam ausgeprägtem Geiz.
Wirklich erschütternd daran ist, dass er dies und vor allem seine herausragende Position offensichtlich für seine pädophilen Neigungen benutzt hat.

Umgänglich und teamfähig ist das, was man von ihm wohl nicht sagen konnte. Allein seine Klage- Wut gegen andere Künstlerkollegen war sprichwörtlich und mehr als ein unangenehmes Hobby. Letztlich scheiterten daran auch unsere Album-Projekte mit ihm nach 1990.

Demmler gehörte zu den Liedermachern der ersten Stunde und war zugleich ihr Geburtshelfer im Osten Deutschlands. Seine Alben wie Die Lieder des kleinen Prinzen gehörten und gehören zu den Meilensteinen neuen deutschen Liedschaffens.

weiter Demmmler: ich war liedermacher. einer der ersten, auf die dieser biermannsche begriff aus der brechtschen entromantisierungskiste angewendet wurde. schon meine grundschullöschblätter waren vollgeschmiert mit eigenen songtexten.

Während er die Radikalisierung der Renft- Combo durch den Einstieg des Lyrikers und Sängers Gerulf Pannach, wohl auch aus Konkurrenzdenken- ablehnte, ließ er sich andererseits das Denken und den Mund durch die DDR-Obrigkeit nicht verbieten. Kurt Demmler gehörte 1976 zu den Mitunterzeichnern der Protestresolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermann, 1989 zu den Erst- Unterzeichner der Resolution der Rockmusiker und Liedermacher und trat bei Demonstration in Ost-Berlin am 4. November auf dem Alex auf und sang (Irgendeiner ist immer dabei- ein Stasispott-Lied).

Nach der Wende wurde es sehr still und einsam um ihn. Seine Versuche neuerlichen Anschluß (ob Ralph Siegel, Udo Jürgens, Silbermond oder Nina Hagen), Respekt und Anerkennung unter den neu geordneten Verhältnissen zu finden, nahmen fast tragische Züge an und waren nicht frei von Demütigungen. Seine Kontaktsuche in Richtung westdeutscher Unterhaltungsindustrie war fast neurotisch:

Kurt Demmler:

der höhepunkt meiner bestrebungen nach der wende aber war das zusammentreffen mit ralph siegel. ein direktor der gema, der uns beide persönlich kannte, hatte ihn mal auf mich aufmerksam gemacht nach der wende. also siegel rief mich an und lud mich zu einem treffen anläßlich des grandprixvorausscheids nach berlin. das gespräch dort scheiterte an seinem siegestaumel. schließlich bat er mich nach münchen in seine villa. ich möge ihm aber eine mappe mit meinen headlines, heute häufiger hooklines genant, mitbringen. ich verband also einen familienausflug in die voralpen mit einem besuch bei ihm. musste mich aber noch ein paar minuten in der runden vorhalle gedulden. herr siegel sei noch beschäftigt. von hier aus führten nach allen seiten geschlossenen türen zu den büros und zimmern. aus einer trat schließlich siegel, reckte schon die rechte hand zum handschlag, wie ich einen augenblick lang dachte, aufsteh und ihm entgegengeh. aber er würdigt mich keines blickes, erfasst stattdessen die türklinke links hinter mir und verschwindet wortlos auf der toilette. muss ich noch erzählen, wie es weiterging?

Vielleicht, ja sicher hat Demmler als Mensch versagt.
Leben und Werk, Mensch-Sein und Künstler-Sein in Harmonie- ein Grundgedanke nicht nur von Friedrich Schiller hat nicht sollen sein. Mehr noch:
es bleiben tiefe, vielleicht nicht verheilende Wunden
bei Anderen zurück. Da verblast auch das schönste poetische Bild.

Ein Kommentar zu “Kurt Demmlers Flucht in den Selbstmord”

  • Kerstin Müther sagt:

    Bei mir verblasst poetisch trotzdem nichts. Normalerweise schützt einen das innere Gefühl vor Schaden. So ging es zumindest mir, als ich dafür in Frage kam, die Stimme für die Lieder des Kleinen Prinzen zu singen. Jeder Mensch hat natürlicherweise die Möglichkeit zu spüren, dass an einem anderen Menschen irgendetwas unsympathisch ist oder irgendwie nicht stimmt. Es sei denn,der Wunsch nach Erfolg, entweder der eigene Wunsch oder der der Eltern ist größer. Und das ist meiner Meinung nach dann eigene Eitelkeit. Es ist nie nur ein Mensch allein beteiligt an einem Geschehen. Ich will hier niemanden entschuldigen. Ich lasse einzig meine umfassende Lebenserfahrung sprechen.

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